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Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Ich arbeite in einer Branche, in der gefühlt alle paar Monate eine komplett neue Sau durchs Dorf getrieben wird. Vor einigen Tagen habe ich nun mitbekommen, dass der Fachkräftemangel auf der Unternehmensseite für eine (zumindest mir neue) Akquisetaktik gesorgt hat: Die Zahlung von Prämien für ein Vorstellungsgespräch. Um den Artikel kurz zusammenzufassen, hat ein Versicherungsunternehmen sich entschieden, Kandidaten Prämien in Staffelung für die einzelnen Phasen des Bewerbungsprozesses zu zahlen.

So werden für ein Vorstellungsgespräch 500,-€ fällig, für die Teilnahme an einem Assessment Center 1.000,-€ und für die Annahme eines Vertragsangebots 5.000,-€. Laut Aussage des Geschäftsführers konnte damit die Resonanz und Bewerberzahl für die Positionen stark vergrößert werden. Er geht sogar einen Schritt weiter und meint, dass er sich dadurch die Einschaltung von Headhuntern sparen kann, da diese nicht nach Qualität selektieren würden.

Das hat mich zum Nachdenken gebracht, da ich mich selbstverständlich mit neuen Trends auseinandersetze, die einen Impact auf meinen Beruf haben könnten. Egal ob positiver oder negativer Natur. Sowohl beim ersten Lesen des Artikels als auch bei nachfolgender Überlegung hatte ich allerdings nicht das Gefühl, gerade den Anfang vom Ende meiner Branche mitzuerleben. Die Gründe sind vielfältiger Natur und lassen sich auf einen der zentralsten Aspekte eines erfolgreichen Bewerbungsprozesses zurückführen: Die Wechselmotivation. Denn hier bestehen gleich mehrere mögliche Sollbruchstellen.

Um detaillierter darauf einzugehen: Ich unterscheide bei den Interessenten, mit denen ich zusammenarbeite, grundsätzlich zwischen finanzieller Wechselmotivation und sämtlichen anderen Wechselgründen wie Reiseanteil reduzieren, Umzug, Karriereverbesserung, Nähe zum neuen Arbeitgeber etc. pp. Diese beiden Sorten von Motivation entsprechen der Differenz zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation, mit den resultierenden Konsequenzen. Um es grob vereinfacht darzustellen, sind die meisten meiner Kunden bei rein finanziell motivierten Kandidaten skeptisch. Und offen gesprochen: Die Erfahrung gibt ihnen recht. Denn mit einer rein monetären Komponente geht nicht automatisch Loyalität einher. Die Gefahr eines Gegenangebots vom vorherigen Arbeitgeber ist exponentiell höher, genauso wie eine kurze Verweildauer, da nach ein paar Monaten von einem anderen Unternehmen 1.000,-€ mehr Jahresgehalt angeboten werden.

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Bild von mohamed Hassan auf Pixabay

Das Fatale ist, dass zudem – selbst wenn ein Kandidat sich aus intrinsischen Gründen bewirbt – diese durch extrinsische Motivation verdrängt werden können. Es handelt sich dabei um den sogenannten Korrumpierungseffekt. Um ein praktisches Beispiel zu geben: Nehmen wir an, ein Kandidat liegt bei einem Jahresgehalt von 75.000,-€ und möchte wechseln, da er bei seinem gegenwärtigen Arbeitgeber einen zu hohen Reiseanteil hat, was er aufgrund Nachwuchs nicht mehr auf sich nehmen möchte. Er ist in diesem Fall intrinsisch motiviert und würde voraussichtlich auch ohne Gehaltsverbesserung wechseln, da es ihm nicht priorisiert um das Geld geht. Ab dem Moment, wo wir anfangen, eine höhere Summe zu besprechen, wird diese aber mehr und mehr zum Tragen kommen. Und zwar in einigen Fällen so stark, dass er ein Angebot, welches sämtliche wirklichen „Schmerzen“ seiner aktuellen Situation beseitigen würde, nicht annehmen wird.

Wenn ich potentielle Mitarbeiter also über einen extrinsischen Faktor „locke,“ ist das Risiko entsprechend hoch, dass ich sie für eine extrinsische Arbeitsmotivation prime. Oder sogar gar nicht die richtigen Kandidaten anspreche, da für diese der monetäre Aspekt nicht im Vordergrund steht, Stichwort Anreizkompatibilität. Mit den entsprechenden Konsequenzen für die Verweildauer und Loyalität.

Fragen wie z.B. was passiert, wenn jemand sich mit einem geschönten CV bewirbt und nur deswegen zum Interview oder AC eingeladen wird, sind dabei noch komplett außen vor. Ich würde mich persönlich hüten, solche Taktiken zu nutzen. Oder diese maximal als eine Facette eines ausgeglichenen Recruitingansatzes designieren, um verschiedene Kandidatengruppen anzusprechen.

PS: Wenn die Qualität der vorgestellten Kandidaten in der Vorselektion durch die eingeschalteten Personalberater zu wünschen übrig lässt, ist das eher ein Grund, an den selbst ausgewählten Headhuntern zu zweifeln und die Zusammenarbeit auf Flaschenhälse zu untersuchen. Dazu mehr in einem anderen Beitrag.

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