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Es scheint, dass Interviews mit der Zeit vom Status einer lästigen aber nützlichen Hürde zum Endgegner mutiert sind: Wann immer sich meine LinkedIn- oder XING Startseite öffnet, gibt es gefühlt mindestens 50 neue Listicles zu Interviews von Experten aus der HR, Karriereberatern, Knigge-Consultants, Tschakka-Motivationscoaches, Körpersprachespezialisten und exklusiven Headhuntern. Es scheint, als würden Inc., Business Insider und Konsorten binnen kürzester Zeit den Bankrott anmelden müssen, wenn das Thema einmal wegbricht.

Ich gebe zu: Auch ich lasse mich manchmal dazu verleiten, auf die Links zu klicken. Und sei es nur, um wie vor ein paar Tagen herauszufinden, welches Hobby bei Angabe direkt einen negativen Eindruck hinterlässt. Spoiler Alert: Lesen.

Ja, der Artikel war ernst gemeint. Und der Verfasser war stolz, Millionen von Bewerbern nach gescheiterten Vorstellungsgesprächen endlich das Allheilmittel zu präsentieren.

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Quelle: Bild von Gerhard Gellinger auf Pixabay

„Sie lesen gerne? Das Gespräch ist hiermit beendet.“

Das Schöne dabei: Wer heute noch den Ansatz von gestern verfolgt, macht Alles falsch, da jeden Tag neue Weisheiten auf den geneigten Kandidaten einprasseln. Und die stehen sich häufig konträr gegenüber. Es könnte beinahe der Eindruck entstehen, dass die Autoren Ihr Geld damit verdienen, konstant neue Punkte zu finden, die optimiert werden müssen.

Wie man es dabei als Kandidat schaffen soll, entspannt zu bleiben, ist mir unbegreiflich: Auf die Atmung achten, währenddessen in den Bauch und nicht den Brustkorb atmen. Gleichzeitig die Schultern nach hinten halten, etwas weiter nach vorne auf den Stuhl setzen für eine gerade Haltung. Aber nicht ZU gerade, Sie sollen natürlich und entspannt sein. Dabei bitte eine relaxte Powerpose einnehmen und die Beine so übereinanderschlagen, dass Sie Interesse zeigen und nicht Aggressivität. Den Winkel zwischen Ober- und Unterschenkel müssen Sie dabei mit einem Geodreick abmessen (ab mehr als 35° wird es wahrscheinlich als Spreading betrachtet), aber das sollte ein neuer SAP Job ja wohl wert sein. Und währenddessen parlieren Sie bitte wie gehabt souverän, interessiert und nicht herablassend oder abgelenkt Ihre Hobbies (bis auf Lesen natürlich, siehe oben). Und zwar wahlweise auf Deutsch, Französisch oder Suaheli. Die Antworten haben Sie ja hoffentlich gut vorbereitet. Aber nicht zu stark vorbereitet, sonst wirken Sie nicht mehr natürlich. Von Ihren Händen ganz zu schweigen, auf die gehen wir im nächsten Blogpost ein. Denn die bisherigen Themen waren lediglich die absoluten Basics. Bei den Händen, der Gestik und erst recht der Kleidung beginnt die hohe Kunst, an der Alles stehen und brechen kann…

Nichts für ungut, aber: Bullshit.

Für Bewerbungsgespräche gibt es keinen Cheat Code. Es gibt keine goldene Regel, bei deren Einhaltung Sie automatisch die Stelle erhalten. Selbstverständlich gibt es Punkte, bei deren Nichteinhaltung Sie die Position garantiert nicht erhalten. Aber anders herum funktioniert es so nicht.

Auch nicht durch das Weglassen von Lesen als Hobby.

Der Grund ist ganz einfach: Sie haben im Bewerbungsgespräch mit anderen Menschen zu tun. Mit ihren individuellen Vorlieben und Abneigungen. Manche mögen es zum Beispiel nicht, wenn jemand liest. Wahrscheinlich Kindheitstraumata.

In den meisten Fällen werden Sie, wenn Sie zu einem Interview eingeladen werden, zumindest vom Papier her die fachlichen Anforderungen bis zu einem gewissen Maß erfüllen. Sonst würde man Sie nicht einladen. Natürlich werden diese Punkte in einem Gespräch abgeklärt. Aber in der überwiegenden Zahl der Vorstellungsgespräche wird vielmehr im Fokus stehen, wie Sie und die Entscheider persönlich miteinander klar kommen und – nachgelagert – ob der Gehaltsrahmen passt. Das kann gut gehen. Genauso gut kann es allerdings vorkommen, dass Sie partout nicht miteinander warm werden.

Letzten Endes gibt es deswegen nur eine einzige Einstellung, mit der Sie an ein Interview rangehen sollten: Sie können nur gewinnen.

Entweder Sie erhalten im Anschluss eine neue Stelle, die besser ist als Ihre bisherige. Oder Sie merken, dass die Position nicht passt. Auch das kann ein sehr positiver Aspekt sein. Denn kaum ein Resultat ist schlimmer, als einen neuen Job zu beginnen und zu merken, dass es nicht passt. Und wenn Sie mit der daraus resultierenden Gelassenheit und dem Selbstvertrauen an das Thema gehen und Interesse an Ihrem Gegenüber zeigen, kann es für Sie nur positiv ausgehen.

Und wenn man Ihnen eine Stelle abschlägt, weil Sie gerne lesen… Ach, lassen wir das, ich werde sonst traurig.

Fragen: Wie sehen Sie Bewerbungsratgeber? Welche Empfehlungen haben Ihnen daraus einen Mehrwert gebracht? Wie gehen Sie an Vorstellungsgespräche ran? Als Hiring Manager: Welche Ratschläge und Empfehlungen können Sie Bewerbern geben? Wie häufig hat Ihnen das Nennen von „Lesen“ als Hobby eine Absage gebracht?

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